Der Echo-„Skandal“ um Kollegah und Farid Bang: Westernhagen

Kurzfassung des Echo-„Skandals“:

  • Kollegah und Farid Bang bekommen Echo – Kollegah übrigens nicht zum ersten Mal, aber vorher hat das niemanden interessiert, seine Musik muss also nun viel schlimmer geworden sein…
  • Sie werden von Gestalten wie Campino (Tote Hosen) öffentlich für die vulgäre, provokative Art ihrer Texte und eine angeblich antisemitische Zeile („Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“) angegriffen und in Zweifel gezogen, ob ihnen aufgrund ihrer moralischen Verkommenheit ein Echo zustehen kann.
  • Es wird sich empört, viele Musiker geben ihre Echos zurück, um ein ‚Zeichen‘ zu setzen. Eine sachliche Debatte findet nicht satt, d.h. vor allem die Frage, ob die angeprangerte Texteile (der Stein des Anstroßes) bloß niveaulos und makaber oder doch wirklich antisemitisch sei, hat keine mediale Repräsentanz, d.h. es wird tabuisiert dies überhaupt ernsthaft zu fragen.
  • Der Echo wird infolgedessen abgeschafft.
  • Nachdem Kollegah und Farid Bang sich lange gegen die Angriffe gewehrt hatten, distanzieren sie sich nun lange Zeit später von den in Frage stehenden Zeilen, nach einem KZ-Besuch.

 

Die ganze Sache bildet meiner Ansicht nach gut die Disfunktionalität der derzeitigen Debattenkultur ab. Es wird nicht diskutiert, was ein Musikpreis wie der Echo an kulturellem oder moralischem Auftrag hat, was konkret die Inhalte und Grenzen sein sollen. Auch über die Gesamtstellung von Musik in der Gesellschaft und warum etwas Provokantes so anspricht, entbrennt keine Debatte. Das einzige was passiert, ist empörtes, leeres Virtue Signaling und der ganze Preis bricht unter der emotionalen Spannung zusammen, die eine geschehene Vergabe bewirkt hat. Die massenhaften Echo-Rückgaben als Protest, den man mit dem trotzigen Verhalten von Kindern besser vergleichen kann als mit einem schaffenden und schöpferischen Willen eines Erwachsenen, ist darin bezeichnend.

 

Ein Schmuckstück dieser Reaktionen möchte ich genauer betrachten:

Westernhagen gibt alle Echos zurück

Im Zuge des „Skandals“ um Kollegah und Farid Bang ist Marius Müller-Westernhagen aufgesprungen, und gibt nicht nur einen, sondern alle seine bisherigen Echos zurück. Hier ist seine Begründung:

„Die Verherrlichung von Erfolg und Popularität um jeden Preis demotiviert die Kreativen und nimmt dem künstlerischen Anspruch die Luft zum Atmen. Eine neue Stufe der Verrohung ist erreicht.“

„Künstler haben eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Sich hinter künstlerischer Freiheit zu verstecken oder kalkulierte Geschmacklosigkeiten als Stilmittel zu verteidigen, ist lächerlich. Provokation um der Provokation willen ist substanzlos und dumm. Und eine Industrie, die ohne moralische und ethische Bedenken Menschen mit rassistischen, sexistischen und gewaltverherrlichenden Positionen nicht nur toleriert, sondern unter Vertrag nimmt und auch noch auszeichnet, ist skrupellos und korrupt.“

„Es geht im Kern um den Zerfall einer kultivierten Gesellschaft, der zunehmend der innere moralische Kompass abhanden kommt, und dem sehen wir schon viel zu lange zu, ohne genügend Widerstand zu bieten.“

Das letzte Zitat könnte geradewegs von mir stammen. Das ist der Sinn von Dekadenzkritik. Leistet der Dekadenz Widerstand! Westernhagen scheint also einen wichtigen Beitrag für unsere Kultur zu leisten.

Nun sehen wir uns doch kurz an, was eine Größe mit wahrem künstlerischen Anspruch und intaktem moralischen Kompass seinem Publikum zu bieten hat:

„Sexy er [der alte Mann] hat sein altes Weib für dich vom Hof gejagt
Sexy du läßt ihn deine hohen Stiefel lecken
Sexy und du wirst reich, stirbt er am Herzinfarkt“

Der Künstler thematisiert in diesem Werk also eine junge attraktive Frau, die sich anbiedert oder prostituiert, mit dem Ziel an das Geld eines alten Mannes in Form einer Erbschaft zu kommen, während Letzterer seinerseits nichts auf seine Ehe gibt und für den Reiz der jugendlichen Attraktivität seine bereits alte Frau „vom Hof jagt“.

Dies sind also die Rollenbilder, die der Künstler im Hymnus besingt: Die Frau als klassischer „Golddigger“, die ihre Attraktivität zum Profit instrumentalisiert; und der Mann als Lüstling, dem Werte wie Liebe und Partnerschaft dagegen nichts bedeuten.

Aber Moment! Das scheint mir doch ein wenig moralisch dubios anzumuten. Würde das nicht gar unter die Kategorie Sexismus fallen, die Westernhagen anprangert? Ja, das würde es sicherlich, da wir an Populärmusik intellektuelle und moralische Ansprüche stellen. Bleibt doch gar eine zu erwartende Katharsis am Ende des Stückes aus, in der beschriebene Rollenbilder verurteilt würden. Stattdessen ist der Tenor durchgehend die Zelebrierung dieses kulturellen Zerfalls. So ist das Schlusswort gar ein positiver Bezug des lyrischen Ichs:

„Ich würde alles für dich tun“

Nun wird also der wahre Grund für die Rückgabe aller Echos seitens Westernhagens offenbar: Die neuerliche Einsicht in moralische Werte, die mit seiner früheren Musik nicht mehr konform gehen, weswegen solchen Machwerken diese Preise konsequenterweise nicht zustehen. Dies ist eine wohlwollende Interpretation. Wir wollen nicht behaupten, dass da jemand im Glashaus sitze und mit Steinen werfe.

Daher kann Westernhagen nun guten Gewissens und mit „Platz im Herzen“ das Rollenbild des starken, potenten Mannes, der niemandem Respekt zu zollen hat, sich als Übermensch gibt und sich nicht zu schade ist, seine Dominanz durch Gewalt darzustellen, welches von der „Musik“ eines Kollegahs und Farid Bangs kolportiert wird, entschieden vom moralischen „high ground“ aus anprangern.

Für Antisemiten hält Westernhagen die beiden zuletzt Genannten übrigens nicht. Da ist es natürlich ein wenig fahrlässig, einen „Skandal“ zum Anlass zu nehmen, der den Vorwurf des Antisemitismus zum Anlass hatte. Könnte dieses „Noch einen Draufsetzen“ im symbolischen Protest in der öffentlichen Wahrnehmung womöglich dazu führen, diese Vorwürfe zu erhärten, anstatt sie sachlich aufzuklären und den ersten Stein für eine rationale Debatte um Musikkultur zu legen. Aber sei’s drum! Wird schon nicht so schlimm sein..